Was genau macht introvertierte Intuition aus? Meine Online-Nachforschungen in diversen Internetforen brachten mir nur die Erkenntnis, dass es sich hier wohl um den am schwersten zu beschreibenden kognitiven Prozess handelt. Selbst der dominant-introvertiert Intuitive scheint sich ein Rätsel zu sein.
Kaum jemand, nicht einmal ihr Namensvaters Carl Gustav Jung, ist in der Lage eine passable Definition für introvertierte Intuition anzubieten, wie sich schön aus diesem englischsprachigen Interview mit Carl Gustav Jung heraushören lässt.
Zwei MBTI-Typen, der INFJ und der INTJ, gebrauchen die introvertierte Intuition als dominante Funktion. Diese sind zusammen mit ca. 4 % in der US-amerikanischen Bevölkerung vertreten. Zwei weitere Typen, der ENTJ und der ENFJ, nutzen sie als zweite Funktion. Die Gesamtzahl der Hauptanwender dieser Funktion erreicht nicht einmal 10 % der Bevölkerung in den USA. Ich unterstelle mal, dass sich die Zahlen in deutschsprachigen Ländern nicht erheblich davon unterscheiden werden. Dies steht im starken Kontrast zu den ca. 45 % der Bevölkerung, die introvertiertes Empfinden in erster bzw. zweiter Funktion anwenden (ESTJ, ESFJ, ISTJ und ISFJ). Es verwundert daher nicht, wenn die Hauptanwender der introvertierten Intuition in dem Bewusstsein aufwachsen, nicht völlig normal zu ticken. Kleines Update: Über diesen Link erreicht ihr mehr Statistiken zum Thema für verschiedenen Länder.
Da ich diese Funktion selber bevorzuge, habe ich mich redlich bemüht, eine zufriedenstellende Erklärung für die Arbeitsweise dieser Funktion zu finden und vor allen Dingen dafür, was sie mit mir anstellt. Die gängigen Erklärungen, dass es sich hierbei um Gedankenblitze, sogenannte Aha-Effekte, plötzliche Eingaben oder gar übernatürliche Fähigkeiten handelt, haben mich nicht komplett zufriedengestellt.
Tatsächlich erlebe ich im Alltag oft das Gefühl, etwas zu wissen ohne dass ich mir den Grund meiner Kenntnis erklären kann. Oft bin ich mir sehr sicher, dass die Dinge, so wie ich sie mache oder vertrete, richtig sind. Die richtige Antwort zu haben ohne eine plausible Erklärung vorweisen zu können ist aus meiner Sicht das offensichtlichste Zeichen von Intuition. Zumeist steht bei mir der Lösungsweg am Ende eines Lösungsvorschlages. In der Schule bekam ich öfter zu hören, dass das Aufschreiben des Lösungsweges noch mehr Punkte gebracht hätte. Meistens habe ich in solchen Fällen den Lösungsweg tatsächlich nicht artikulieren können, sondern nur so ein Gefühl von innerer Gewissheit in mir gespürt. Gerade in jüngeren Jahren fühlte ich mich oft sehr unsicher, meinen Mitmenschen eine plausible Antwort für meinen Standpunkt zu geben. Wenn ich diese intuitiven Eingaben verwarf, erwiesen sie sich sehr oft als richtig, was mich dann umso mehr ärgerte. Mittlerweile vertraue ich meiner Intuition und bin auch geübter darin Lösungswege anzubieten, die ich allerdings weiterhin nachschiebe ;-).
INFJs sind Rückwärtsdenker. Wir beginnen mit dem Ende. Wir haben ein Gefühl für die Lösung, das sich 100 % akkurat anfühlt und suchen dann eine logische Begründung.
Ich habe als Kind sehr gerne gepuzzelt. Wenn meine introvertierte Intuition aktiv ist, fühlt es sich genau wie bei einem Puzzlespiel an. Die Eingebung bei der introvertierten Intuition ist der Rahmen des Puzzles. Ich erfasse die Struktur des untersuchten Gegenstandes, indem ich den Rahmen finde, und dann suche ich die Einzelteile von denen ich sicher bin, dass sie in meiner Umwelt existieren. Wenn ich die Puzzleteile zusammengesteckt habe, ist der Lösungsweg gefunden, der das bereits vermutete Ergebnis bestätigt.
Ich denke, für einen extrovertierten Intuitiven dürfte sich ebenfalls ein Gefühl von „Nachschieben des Lösungsweges“ einstellen, wenn er plötzlich eine Idee hat. Anders als beim introvertiert Intuitiven hatte er jedoch schon alle Einzelteile im Speicher, wenn die Idee eine Gestalt bekommt. Seine Eingabe ist die plötzliche Erkenntnis, wofür die Teile verwandt werden können. Diese Idee wird in die Außenwelt getragen und dort hinsichtlich ihrer Möglichkeiten ausgelotet.
Im Gegensatz zum extravertierten Intuitiven habe ich jedoch nicht alle Puzzleteile im Speicher sondern einen Rahmen in meinem Inneren, der mir sagt, da gibt es etwas, und du musst nur noch die Beweise suchen. Die Beweise suche ich dann Außen. Anders formuliert: der introvertiert Intuitive fängt dort mit der Suche der Teile an, wo der extravertiert Intuitive aufhört. Letzterer steckt zwar noch einzelne Teile zusammen, aber grundsätzlich braucht er sie nicht mehr im Außen zu suchen.
Die Suche nach den Puzzleteilen fühlt sich ziemlich wirr für mich an, und dieser Eindruck dürfte auch bei einem außenstehenden Beobachter entstehen. Oft suche ich Teile und habe keine Ahnung, was ich suche und warum ich es suche. Je mehr Teile ich finde, desto stärker verdichten sie sich zu einem Bild, und wenn genügend Verbindungen zwischen den Teilen vorhanden sind bzw. diese ihren Platz im Rahmen gefunden haben, erkenne ich das Bild plötzlich ziemlich klar und weiß auf einmal, was ich suche. Wenn ich dann endlich weiß, wonach ich suche, habe ich den größten Teil meiner Puzzlearbeit erledigt.
Ein wenig ist es wie ein Puzzlespiel, das ich ohne Vorlage angehe. Es dauert oft lange, bis ich erkenne, was der Sinn meiner Suche ist. Dieser Zustand ist für mich ziemlich unerträglich. Ich kann mich dann meinen Mitmenschen am wenigsten verständlich machen. Ich erzähle Dinge, die nicht Hand und Fuß haben, und es ist mir ziemlich peinlich, wenn ich eine Problemdiskussion abbrechen muss, weil ich mittendrin erkenne, dass mir noch wichtige Teile in meinem Puzzle fehlen.
Ich behaupte, dass ein INFJ vermutlich am wenigsten nach außen in Erscheinung tritt, wenn er dabei ist, den Rahmen auszufüllen und noch keine klare Vorstellung vom Bild hat. Bis ich an diesem Punkt angelangt bin, versuche ich es zu vermeiden, mit irgendjemandem über meine Vorstellung zu reden. Ich merke selber, dass meine Mitmenschen mich in diesem Zustand wahrscheinlich für verrückt erklären würden, und wer tut sich so etwas schon freiwillig an. In dieser Phase wirke ich ziemlich unbeholfen und sprachlos. Tatsächlich fehlen mir oft die Begriffe, um diesen inneren Zustand zu verbalisieren.
In dem Maße, wie das Bild sich dann abzeichnet und die Teile auffindbar sind, nimmt meine Zuversicht zu, und am Ende bin ich oft erstaunlich stur und eher weniger bereit, meine Erkenntnisse in Frage zu stellen.
Tatsächlich muss ich die Teile des Bildes ab und an mal umlegen oder eines verwerfen, eben wie bei einem richtigen Puzzle. Das stört mich aber nicht. Da bin ich dann wieder flexibel. Dies ist oft eine Quelle für Missverständnisse in der Kommunikation zwischen mir und meinen Mitmenschen. Ich glaube, gerade eher auf Urteilsfunktionen stehende Mitmenschen, können mit diesem Ansatz nicht viel anfangen. Viele Menschen verstehen nicht, warum ich meine Meinung plötzlich geändert habe, wo ich doch so überzeugt war. Ich habe halt ein Puzzleteil umgesteckt oder aussortiert! Da dieser Vorgang im Inneren stattfindet, ist dies für andere nicht so leicht nachvollziehbar. Ich denke, dass kann einem INFJ schon mal den Ruf einbringen wankelmütig zu sein.
Im Gegensatz zu den Puzzleteilen verschiebt sich der Rahmen des Bildes eher selten. Wenn der Rahmen brechen und damit das Bild selber in Frage gestellt würde, erreicht der INFJ den Punkt, an dem er stur und unnachgiebig wird, weil er sich halt so sicher ist. Ich behaupte, dass der INFJ dann gezwungen wäre, seine eigene Realität zu hinterfragen und dies hat etwas mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Das fühlt sich für den INFJ an, als wenn er sich selbst in Frage stellt, de facto würde ein solcher Zustand einer Ich-Auflösung gleichkommen. Deshalb ist ein INFJ vermutlich extrem stur, wenn er sich so absolut sicher ist, dass der Rahmen stimmt.
Während ich diesen Beitrag schreibe, habe ich übrigens ein Video von einem INFJ gefunden, der sich auch der Puzzle-Metapher bedient. Was für ein Zufall. Oder vielleicht liegt es ja auch an der anderen Eigenschaft des INFJ: Wir bedienen uns der gängigen Sprache, um unsere subjektiven Eindrücke zu schildern. Wir versuchen sozusagen, unsere Mitmenschen über ihre eigene Sprache und Vorstellungswelt zu erreichen, um unsere subjektiven Eindrücke einzubringen. Je besser wir es schaffen, die Sprache unserer Mitmenschen zu sprechen, desto eher werden wir von unseren Mitmenschen verstanden. Ich glaube, der Wunsch verstanden zu werden ist tatsächlich übermächtig für uns INFJs. Ich meine, eine gut entwickelte extravertierte Gefühlsfunktion ist der beste Weg, den Graben, der uns von unseren Mitmenschen trennt, zu überwinden.
Im Großen und Ganzen hast du da einen sehr einleuchtenden Artikel über die Perspektive eines dominanten Ni-Types geschrieben. 🙂
Ich glaube allerdings, dass die meisten Punkte auch für einen INTJ zutreffen würden. 😉
Bei der extrovertierten Intuition bin ich mir nicht sicher…gerade was den “Speicher” betrifft. Ich (als Ne-Nutzer) bin definitiv kein Puzzler. Nun das mag zwar Zufall sein, aber generell habe ich ein Problem die “eine richtige Lösung” zu finden, wie eben beim Puzzeln nicht anders möglich. Ich bin stärker in Bereichen, in denen es mehrere oder gar keine feste Lösung(en) gibt. Mich stört es nicht, wenn etwas “offen” ist, ganz im Gegenteil, je mehr Möglichkeiten und Verbindungen, desto besser!
Das habe ich zum Beispiel beim Schreiben in einer Gruppe gemerkt. Manche Leute hatten schon zu Beginn der Geschichte ein Ende im Kopf und haben sich dann (richtig) rückwärts gewandt, um zu erklären, wie das soweit kommen kann. Ich dagegen habe nie wirklich ein konkretes Ende gesehen, sondern immer mehrere Variationen noch offen gelassen. Je konkreter ein Ende fest war, desto mehr Motivation ist bei mir verloren gegangen…
Beim Serien oder Filme gucken ist es ähnlich. Je länger unklar ist, wie oder wo es hingeht (Interpretationsspielräume!), desto gefesselter bin ich! Je offensichtlicher das Ende ist und meinen Erwartungen als Leser/Zuschauer entspricht, desto weniger mag ich es.
Beim Puzzeln wäre ich z.B. schnell abgelenkt, würde daran denken, worauf man die Puzzle-Metapher noch anwenden kann (z.B. in der Mathematik, wenn man eine Formel “dekonstruiert”) oder würde blind rumprobieren, um Muster zu erkennen, die die Aufgabe abkürzen können.
Klar soweit? 😉 (Zitat von einem Piraten, in dem Ne definitiv stark ist 😀 )
Mit dem INTJ hast du grundsätzlich recht. Ich wollte den Artikel über Ni im Allgemeinen schreiben und das wird sich wahrscheinlich für einen INTJ ähnlich anfühlen. Unterschiede für den INTJ werden sich wahrscheinlich aufgrund des eher an unbelebten Systemen interessierten Te ergeben. Bei mir wird Ni wahrscheinlich eher mit Gestik und Emotionen verbunden und sensibilisiert mich für die Beweggründe und Bedürfnisse meiner Mitmenschen. Bei einem INTJ dürfte Ni eher im „Erfühlen“ einer systemimmanenten Logik liegen.
Ich habe mich mit der INFP-Freundin unterhalten. Sie sagt ähnlich wie du, dass sie nicht auf der Suche nach einem Ende ist. Außerdem findet sie es beinahe anmaßend zu behaupten, man wüsste etwas sicher. Da hat sie natürlich recht und weil ich die meiste Zeit nicht in der Lage wäre zu sagen, warum ich meiner Meinung so sicher bin, behalte ich meine Ansichten die meiste Zeit über für mich. Das ändert sich nur dann, wenn die Sicherheit zunimmt und ich in der Lage bin anderen meinen Standpunkt nachvollziehbar zu erklären oder wenn jemand meinen inneren Weg stört.
Deine Beschreibung von Ne entspricht dem was ich erwarten würde. Du suchst Möglichkeiten und die sind in unsere Außenwelt grundsätzlich unbegrenzt vorhanden. Ni hat mehr was mit Bestimmung zu tun. Da gibt es wohl nur einen Weg und zwar den für uns Menschen richtigen Weg. Ich glaube, deshalb sind Propheten angeblich oft INFJ. Die scheinen so eine Art Karte der menschlichen Geschichte in ihren Genen zu tragen bzw. sind besser in der Lage auf diese, uns von innen heraus antreibenden, Motive zu hören. Sie sind aber schlecht im artikulieren ihrer Visionen und deshalb wirken sie so mystisch.
Für mich ist Ni oft eine Belastung. Es vergrößert den Abstand zu meinen Mitmenschen und das kann ich mit meinen Fe nur schlecht vereinbaren. Ich kann es nicht einfach abstellen, es reißt mich ständig aus meinem Alltag und hinterfragt den Sinn meines gegenwärtigen Handelns.