In diesem Artikel möchte ich Euch das aus meiner bisherigen Sicht auf C.G Jung und definitiv auch für diesen Blog bedeutendste seiner Werke vorstellen. Es handelt sich um die „Psychologischen Typen“ und wurde erstmals 1921 veröffentlicht. Heute wird dieses Werk im Rahmen der Gesamtausgabe des Werkes von C.G. Jung als 6. Band in der 3. Auflage von 1995 durch den Patmos-Verlag veröffentlicht.
Dieses Buch ist die Grundlage der hier besprochenen Typologie. Da das Buch auf den ersten Blick schwer verständlich ist, versuche ich, Euch dieses Buch durch meine Einführung schmackhafter zu machen. Konzentrieren möchte ich mich auf den Aufbau des Buches und den wesentlichen Inhalt. Letztlich ist ein großer Teil meines Blogs eine Aufarbeitung der in diesem Buch getroffenen Aussagen.
Jung stellt mit seinem Buch eine Typologie menschlicher Charaktere vor. „Eine von Vielen“ könnte der vorgebildete Leser einwenden. So dachte ich ursprünglich auch. Was soll es – bei der einen Theorie sind es die Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker und bei einer anderen die Kooperativ-Passiven versus den Aggressiv-Aktiven. Irgendein Kategorisierungssystem dürfte wohl jedem einfallen, und die Typologie von C.G Jung stellt eben nur eine weitere Möglichkeit vor, Menschen einzutüten.
Ich selber wurde indirekt mit der Jung‘schen Typologie vertraut gemacht, als mir ein Freund im Anschluss an ein Businessseminar zum MBTI sein Typenprofil vorlegte und sich als ENTP outete. Ich bestätigte ihm, dass ich tatsächlich die im Profil beschriebenen Seiten an ihm wahrgenommen hatte. Nachdem ich die Gelegenheit nutzte, die anderen 15 Profile in den Beschreibungen der MBTI-Macher zu lesen und dabei versuchte, einen Bezug zu mir herzustellen, stellte ich fest, dass ich wohl ein INFJ sein müsse. Ich blieb jedoch skeptisch und befasste mich zunächst nicht weiter mit dem Thema. Allerdings blieb ein seltsames Gefühl zurück, dass in mir schlummerte und hin und wieder aufwachte und mich zwang, mich tiefer und eingehender mit den 16 Typen des MBTI zu befassen.
Seitdem sind nun beinahe 20 Jahre vergangen, und meine anfängliche Skepsis gegenüber den 16 Typen und der ihnen zugrundeliegenden psychologischen Typologie hat sich – vorsichtig ausgedrückt – in Enthusiasmus verwandelt; gelegentlich sehr zum Leidwesen meiner Mitmenschen, die oft keinen Bezug zum Thema hatten und für die es schwer war, meinen Ausführungen zu lauschen, wenn sie sich denn überhaupt die Zeit hierfür nahmen.
Da es kaum Literatur zum Thema im deutschsprachigen Raum gab, war dies für mich ein unhaltbarer Zustand, der sich letztlich zu dem Wunsch verdichtete, mich den mir nahestehenden Menschen begreiflich zu machen und diese an meinen zunehmenden Erkenntnissen hinsichtlich der Typologie und ihrer Auswirkungen auf den Alltag und mein Erleben teilhaben zu lassen.
Die Gründe für meinen Enthusiasmus in Bezug auf die „Psychologischen Typen“ stecken in diesem Blog. Es handelt sich um einen Versuch, eine größere Zahl von Menschen auch im deutschsprachigen Raum für das Thema zu gewinnen und vor allem aufzuzeigen, dass Carl Gustav Jung die Basis für ein neues Weltbild liefern könnte.
Daher werde ich mich mit meinem Blog bemühen, die unfassbaren Auswirkungen der Jung‘schen Typologie auf meine Weltsicht – und hoffentlich bald auch auf eure – aufzuzeigen.
Aber Vorsicht! Wer es wagt, das streckenweise sehr anspruchsvolle Buch bis zum Ende durchzuarbeiten – und ich meine ARBEITEN -, könnte sein bisheriges Weltbild zum Einsturz bringen.
Der Einstieg in die Materie gestaltet sich zunächst etwas zäh. So dürfte dem aufmerksamen Leser beim zögerlichen Durchblättern der Seiten und einem Blick in das Inhaltsverzeichnis der Aufbau des Buches ungewöhnlich vorkommen. Obwohl es sicher nicht unüblich ist, seinem Werk einen Vorspann über die historischen Bezüge und weiteren Einordnungen des Themas voranzustellen, fällt dieser im Falle der „Psychologischen Typen“ mit mehr als 350 Seiten im Vergleich zur Gesamtseitenzahl von knapp 600 Seiten erstaunlich lang aus.
Zugegeben, ich habe den Grund für die ausschweifenden Darlegungen im Vorspann bisher nicht wirklich feststellen können. Aus meiner Erfahrung dürfte ein kurzweiliges Überfliegen des langen Vorspanns dem Verständnis des sich anschließenden Hauptteiles nicht schaden.
In diesem Vorspann versucht Jung sich dem von ihm beschriebenen Typenproblem zu nähern und seine Leser für mögliche Ansätze und unterschiedliche Positionen, die auf unterschiedliche Charaktere schließen lassen, zu sensibilisieren.
Wie gesagt, wer keinen Bezug zu den dort angesprochenen Themen herstellen kann, muss nicht resignieren. Die eigentliche Typologie erschließt sich einem auch ohne die Kenntnis des Vorspanns.
Wirklich interessant wird das Werk erst ab Seite 353 mit dem Kapitel X “Allgemeine Beschreibungen der Typen“. Auf den nun folgenden weniger als 240 Seiten (!) entfaltet Jung schließlich die eigentliche Typologie. Dabei gelingt es ihm, diese in einer nahezu atemberaubenden Weise zu entwerfen. Die Sätze sind prägnant, ohne Schnörkel, schonungslos offen und zugleich voller versteckter Ironie mit Blick auf menschliche Eigenarten und Schwächen.
Während die Dichte der dargelegten Zusammenhänge selbst den hartgesottensten Geisteswissenschaftler zu ersticken droht, spürt der aufmerksame und aus sich heraus interessierte Leser eine Vorahnung von einer gewaltigen Welle der Erkenntnis, die sich ihm ins Bewusstsein drängt. Die Schwere des Textes verlangt ihm harte Disziplin ab. Er kämpft gegen einen Text, den selbst ein dreimaliges Lesen kaum mehr Verständnis entlocken dürfte.
Vielmehr vermittelt Jung auf diesen letzten 237 Seiten seines Buches Wissen, welches der Leser erst ergreifen muss, um es zu begreifen. Es verwundert nicht, dass derartige Mühe nach einem eher verwirrenden Vorspann viele Leser in der Vergangenheit abgeschreckt haben dürfte und zu einer eher negativen Einschätzung des Werkes bewegt hat.
Jedoch ist Jung hieraus nur bedingt ein Vorwurf zu machen. Es liegt an der Materie, derer er sich widmet. Um die Botschaft des Textes korrekt zu entziffern, bedarf es eines vorurteilsfreien Blickwinkels, einer inneren Bereitschaft, Althergebrachtes für einen Moment zur Seite zu legen. Und nicht zuletzt bedarf es auch einer nicht immer schmerzarmen Reflexion der eigenen bisherigen Sicht auf die Dinge.
Jung, der dies ahnt, steht dem wagemutigen Leser jedoch wie ein liebevoller Großvater zur Seite. Als solcher begleitet er seinen Leser durch den Dschungel des menschlichen Geistes, unermüdlich wirft er ihm kleine Bälle zu. Sein aufmunterndes Schmunzeln scheint zwischen den Seiten hervorzutreten. Hier und da lockert er den zähen Text durch eine ironisch-spitze Anmerkung auf. Auch die Genießer englischen Understatements dürften auf ihre Kosten kommen.
Wohlgemerkt wird der Leser all dies nur erfahren, so er nicht zuvor das Handtuch geworfen hat.
Der zähe Bezwinger des Textes wird ausreichend entschädigt durch eine Erkenntnis, die nicht nur eine erstaunlich abgerundete Typologie menschlicher Charaktere umfasst, sondern die reale Chance bietet, das Weltbild des Lesers ins Wanken zu bringen.
Der Leser spürt förmlich die Anstrengung, die Jung aufbringen muss, um die Begrifflichkeiten seiner Typologie zu erklären, wie er nach Worten ringt und an Definitionen feilt und sich beinahe entschuldigt für seinen für ihn wohl auch ungewöhnlich klingenden Ansatz. Dies ist nur allzu verständlich, denn Jung betritt hier Neuland und berührt auf einmal wie unbeabsichtigt grundlegende philosophische Fragen. Es scheint, als werde Jung zum Philosophen wider Willen.
Als Ansatz für seine Typologie wählt Jung nichts Geringeres als den Begriff des Bewusstseins. Ein Begriff, der konfliktbelasteter nicht sein könnte! Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftler ziehen zu Felde, um diesem Begriff eine Form zu verleihen.
Während Jung das Bewusstsein Stück für Stück in acht Funktionen zerlegt, entdeckt er scheinbar wie nebenbei wichtige Funktionsprinzipien unseres Denkapparates. An dieser Stelle lässt er es jedoch nicht bewenden. Nein, Jung bohrt vorsichtig weiter. Ohne viel Aufhebens zu machen fügt er seinem Buch im Anhang Beiträge zu Vorträgen bei, mit denen er vor Ärzten und Wissenschaftlern auf eine beinahe schüchtern anmutende Weise Zusammenhänge zwischen den Funktionsprinzipien des Gehirns und unserer Gesellschaft sichtbar macht. Diese Zusammenhänge erscheinen als das von Jung eher mit Verwunderung zur Kenntnis genommene Nebenprodukt seiner Bemühungen, doch einfach nur eine Typologie aufzustellen. Zwischen den Zeilen steckt kein bisschen Euphorie, eher der kühle Verstand eines Wissenschaftlers – darauf bedacht, nicht mehr preiszugeben als erwiesen scheint.
Am Ende des Buches könnte beim aufgeschlossenen Leser der Verdacht aufkeimen, soeben Zeuge der Entstehung eines neuen Paradigmas einer kritischen Psychologie, schlimmer noch, der Errichtung eines neuen Weltbildes geworden zu sein, ein Weltbild, welches Kopernikus‘ Theorie vom Umlauf der Planeten um die Sonne in nichts nachstehen dürfte.
Wer sich ein derartiges Erlebnis ersparen möchte, sollte das Buch schnell wieder weglegen.
Allen anderen Lesern wünsche ich ein intensives aber erfüllendes Leseerlebnis. Dabei bitte ich jedoch noch einmal ausdrücklich darum, meinen oben angeführten Sicherheitshinweis ernst zu nehmen. Insbesondere dürften sich bei besonders empfindlichen Personen kalte Füße und rote Ohren nicht vermeiden lassen.
Damit das Studium der „Psychologischen Typen“ trotz aller dargelegten Bedenken ein Lesevergnügen wird, biete ich Euch meinen Blog an. Die hier bereits vorhandenen Artikel und die noch in Zukunft zu verfassenden Artikel sollen Euch eine Hilfestellung bei der Erarbeitung dieser hochspannenden Materie bieten.