INTP – Der Denker

Die erste Funktion des INTPs ist das introvertierte Denken und die zweite Funktion ist die extravertierte Intuition.

INTPs sind getrieben, die Welt zu begreifen. Dazu häufen sie Wissen an, bauen in ihrem Inneren ein kompliziertes Gedankengerüst auf und versuchen ständig, Vorhersagen über das Eintreten von Ereignissen zu treffen. Man könnte meinen, der INTP habe ein Buch mit weißen Seiten zu seiner Geburt geschenkt bekommen, damit er eine Enzyklopädie über die Welt entwerfe. Im Laufe seines Lebens fügt er diesem Buch in willkürlicher Reihenfolge neue Einträge zu seinen Erkenntnissen über die Welt hinzu. 1 Alles neue Wissen wird hineingeschrieben. Die Einträge sind temporär und werden ständig aktualisiert, wenn neue Informationen eine Korrektur bisherigen Wissens erfordern.

Beeinflusst von ihrer extravertierten Intuition sind INTPs versucht Theorien aufzustellen, die sämtliche relevanten Variablen enthalten, und zwar unabhängig von der Frage nach ihrer tatsächlichen Anwendbarkeit in ihrem momentanen Umfeld. Ihre dominante introvertierte Denkfunktion prädestiniert sie dazu, die Vordenkerrolle in der Gesellschaft einzunehmen und Fragen zu Problemen und Entwicklungen aufzuwerfen, die oft viel später zu Tage treten werden. Vermutlich entstammen die radikalsten Theorien unserer Wissenschaft den Köpfen von INTPs.

Dem INTP ist dabei mehr am Durchdringen des Sachverhalts gelegen als an der Umsetzung seiner Ideen. Oft gibt er sich mit dem einmal gedachten Gedanken zufrieden und verzichtet darauf, andere an seinen Einsichten teilhaben zu lassen. Dies wird spätestens im Berufsleben problematisch, wenn er seinen Kollegen unbeabsichtigt wichtige Erkenntnisse vorenthält oder wenn der Arbeitgeber handfeste Ergebnisse sehen will.

Die hohe Wertschätzung des INTPs für Logik und Vernunft hat ihre Kehrseite in einer Abwehrhaltung gegenüber emotionalen Einflüssen. Diesen steht der INTP sehr skeptisch gegenüber. Er versucht, seine Entscheidungen von subjektiven, auf Gefühlen beruhenden, Erwägungen rein zuhalten.

Tatsächlich macht der INTP mit seiner nüchternen Art Probleme zu betrachten einen recht objektiven Eindruck und wird oft genau aus diesem Grund von seinen Mitmenschen bei Schieflagen, die einen kühlen Kopf erfordern, konsultiert. INTPs unterliegen in ihren Entscheidungen, zumindest soweit sie nicht unmittelbar betroffen sind, kaum jemals irgendwelchen emotionalen Zwängen. Allerdings ist die „Objektivität“ des INTPs nur insoweit als objektiv zu bezeichnen, als seine Entscheidungsgrundlage frei von gefühlsmäßigen Wertungen ist. Hingegen ist das Denken des INTPs im Vergleich zum Denken des ENTJs oder ESTJs – beide extravertierte Denker – ein Denken auf subjektiver Grundlage. Denn die Eindrücke, auf denen der INTP seine Logik aufbaut, sind seine eigenen gesammelten Eindrücke. Genau diese Subjektivität ermöglicht es dem INTP, sich frei und unbeeindruckt von gesellschaftlich anerkanntem Wissen und herrschenden Paradigmen eine Meinung zu bilden und mit neuen Theorien alte Glaubenssätze zu hinterfragen. 2

Als Kinder fallen INTPs oft dadurch auf, dass sie ihnen nahestehende Personen unablässig mit „Warum“-Fragen löchern und ihre Eltern schon recht früh an den Rand ihres Allgemeinwissens drängen. Gelegentlich kommt es den Eltern vor, als wolle ihr Sprössling das Rad neu erfinden, wenn er stolz eine seiner selbst gefundenen Lösungen auf einem Gebiet präsentiert, wo bereits konventionelle Lösungen vorhanden sind.

Mit ihrem Wissensdurst und dem Augenmerk auf ungelösten theoretischen Fragestellungen entschließen sich INTPs oft eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Trotz dieses Forscherdrangs berichten viele INTPs über Schwierigkeiten als Kinder, den schulischen Anforderungen zu genügen. Die hier auftauchenden Probleme sind jedoch weniger auf einen Mangel an Intelligenz zurückzuführen sondern eher eine Folge ihres angeborenen Lernstils, der den konventionellen Lernmethoden des Schulsystems, die eher SJ-Typen ansprechen, widerspricht.

INTPs genießen den Prozess des Wissenserwerbs an sich. Wenn sie eine Gesetzmäßigkeit festgestellt und verstanden haben, lenken sie ihre Aufmerksamkeit sofort auf neue noch offene Fragestellungen. Sie empfinden oft regelrecht Unbehagen, über ein einmal verstandenes Thema noch einmal reden zu müssen, geschweige denn dieses Wissen in Form von Klausuren und Hausarbeiten abzuspulen.

Ein anderes Problem für INTP-Schulkinder ist die Subjektivität und Intensität ihres Wissenserwerbs. INTPs sind extrem konzentriert beim Lernen. Wenn sie ein Thema fesselt, verbringen sie Stunden damit, alle Facetten zu verstehen und Experten auf dem Gebiet zu werden. Anstehende schulische Themen sind leider nicht unbedingt ihre erste Wahl bzw. geraten in Konflikt mit den momentan offenen Fragen des INTPs. Tatsächlich haben sie keine Lust, neben dem aktuell ihren Gehirnspeicher belegenden Thema noch weitere Themen aufzubereiten, die keine Anknüpfungspunkte mit ihrem gegenwärtigen Denkmodell haben. INTPs empfinden es als schwer, Dinge einfach nur auswendig zu lernen. Nicht verstandenes Wissen fällt durch den Rost. Für INTPs muss Wissen verinnerlicht sein, entsprechend tief verankert ist es dann und steht dem INTP im Alltag auch auf Abruf bereit.

INTPs verwenden wenig Aufmerksamkeit auf ihre Gefühle und sind oft unfähig ihre emotionale Befindlichkeit einzuschätzen, bis sie die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren. Diese Unbehaglichkeit im Umgang mit Gefühlen kann ein Problem für ihr Liebesleben und überhaupt für zwischenmenschliche Beziehungen sein, aus denen sich Emotionen nicht wegdenken lassen ohne die Qualität der Beziehung zu verändern. So sehen sich viele INTPs außerstande, die von ihren Mitmenschen erwarteten Gesten zu zeigen. Oft wirken sie hier schüchtern und unbeholfen.

Die Nutzung seiner dominanten Funktion führt dazu, dass der INTP sich einen großen Teil der Zeit in seinen Kopf zurückzieht und tatsächlich sind viele INTPs gerade in der Entwicklungsphase ihrer dominanten Funktion – in ihrer Kindheit und Jugend – wenig in Kontakt mit ihren Mitmenschen. Damit entgeht ihnen zugleich die Möglichkeit, ihre sozialen Fertigkeiten zu trainieren. Die sich daraus entwickelnden Kommunikationsschwierigkeiten können den INTP leicht von seinen Mitmenschen isolieren und das Gefühl verstärken, anders zu sein und nicht verstanden zu werden. Dies ist schade, da INTPs Einsichten gewinnen, die es wert sind gehört zu werden. Vermutlich um die Angst, die mit der Isolation einhergeht, zu mindern, entwickeln nicht wenige INTPs eine herablassende Haltung gegenüber Leuten, die ihren Theorien nicht folgen können oder nicht bereit sind, derart tief die Welt zu hinterfragen.

INTPs mit unterentwickelten sozialen Fähigkeiten tendieren dazu, entweder unangepasst ihren Standpunkt nach außen zu vertreten oder sich von ihrer Umwelt zurückzuziehen. Im ersteren Fall wirken sie oft exzentrisch oder besserwisserisch und neigen dazu, ihre abweichende Meinung lautstark in der Öffentlichkeit zu debattieren. Im letzteren Fall meiden sie die Gesellschaft anderer bzw. minimieren die Zeit, die sie mit anderen verbringen, um zwischenmenschlichen Konflikten weitestgehend aus dem Weg zu gehen.

Je mehr sich der INTP in der Interaktion mit seinen Mitmenschen beschränkt bzw. ihren Standpunkt als irrelevant ausklammert, desto abgehobener und weltfremder wirken seine Erkenntnisse und Theorien.

INTPs tun gut daran, anzuerkennen, dass ihre Fähigkeit, unpersönliche Entscheidungen zu treffen, nicht gleichbedeutend ist mit dem Ausklammern der eigenen Person. Ihre extravertierte Intuition ermöglicht es ihnen, sich als Teil des Gesamtgeschehens zu betrachten und zu begreifen, dass sie mit ihrer bloßen Anwesenheit die Reaktionen ihrer Mitmenschen beeinflussen. Ihr Verhalten hat Auswirkungen, die nicht mit hundertprozentiger Sicherheit vorhersagbar sind. INTPs sind Teil der menschlichen Gemeinschaft und als solcher von ihr abhängig und ihren Regeln unterworfen. Gefühle sind ein wichtiger Teil des Lebens, und ihre Unberechenbarkeit erfordert das Vertrauen in andere. Die Unsicherheit über den Ausgang zwischenmenschlicher Interaktionen lässt sich allenfalls über die Anerkennung und Beachtung von allgemeinverbindlichen Konventionen minimieren, aber nie ganz ausschließen.

Wenn INTPs lernen, sich als Teil der Gemeinschaft zu betrachten, sind sie auch eher bereit, die Bedeutung guter Kommunikation anzuerkennen und ermöglichen es ihren Mitmenschen, den Wert ihrer Ideen und Theorien nachzuvollziehen. Indem sie unberechenbaren Erfahrungen nicht mehr ausweichen, können sie uns mit ihrer Enzyklopädie der Welt tatsächlich die Welt erklären.

Weiterführende Links:

  1. Vergleich von www.intpexperience.com.
  2. Zur Vertiefung des Themas verweise ich auf C. G. Jung, Psychologische Typen, 3. Auflage 2011, Patmos S. 407, Kapitel X 3 c) „Die Besonderheiten der psychologischen Grundfunktionen in der introvertierten Einstellung“.